Von der statischen zur natürlichen „Hierarchie“.

Seit gut 35 Jahren verändert sich die Hierarchie in der Wirtschaft. Vor 33 Jahren wurden Hierarchieebenen gekappt und das Wort Leanmanagement wurde zum Schlager für die Reduktion der Führungsmannschaft. Mit der industriellen Revolution durch IT wurden die unternehmensinternen Kommunikationsnetze schnell, unbürokratisch und von oben bis unten durchlässig, so dass das Mittelmanagement weiter reduziert werden könnte. Moderne Firmen der IT-Branche zeigen heute, dass statische Hierarchien nicht mehr notwendig sind. Diejenigen Beschäftigten, die über spezielles Wissen verfügen und sich in den Augen anderer als Meinungsmacher profilieren, nehmen eine Art Fachführung ein. Deshalb profilieren sich Einzelne ganz natürlich zur Führung und Unterstützung anderer. Sie brauchen keinen schönen Titel und kein Stellenprofil mehr, sondern sie nehmen auf natürliche Art eine Verantwortung wahr. Ähnliche Erscheinungen sehen wir in Non-Profit-Organisationen, in Vereinen und Interessengemeinschaften.
Hierarchie beginnt sich zu überleben, wenigstens das, was Hierarchie vom Wort und vom Sinn her bedeutet. Das Wort Hierarchie entstand im alten Griechenland und beschrieb die Rangordnung der Priester. Im Mittelalter galt eine hierarchische Führung vornehmlich für militärische Zwecke. In der Schweiz waren bis in die 80er Jahre hinein die kleinen und großen Kommandanten der Milizarmee auch in der Wirtschaft als Führer gerne gesehen. Auch in Deutschland werden ehemalige Bundeswehr-Führungsleute in der Wirtschaft in Führungsaufgaben eingesetzt. Die Struktur der Führung (das Organigramm) bestimmt die Hierarchie und definiert die einzelnen Führungsaufgaben und Verantwortungen. Und jeder, der eingesetzt wird als Korporal, als Leutnant, als Hauptmann, als Oberst, als General darf sich durchsetzen, weil ihm die Unterstellten gehorchen müssen.
Ganz anders die natürliche „Hierarchie“. In dieser profiliert sich einer unter gleichen als derjenige mit dem größten Wissen, den besten Erfahrungen und der Anerkennung durch seine humane Umgebung. Er wird nicht von oben eingesetzt, sondern von unten anerkannt. Gibt es überhaupt noch ein oben und unten? Eigentlich nicht. Es gibt nur noch Verantwortungsträger und Koordinatoren.  Alle finden sich zu Selbstorganisationsformen. Nicht mehr der Weg ist relevant, nur das zu erreichende Ziel ist wichtig. Es gibt keine Befehle mehr, nur noch die Selbstbeauftragung des Einzelnen, der sich in einer Gruppe seinen Platz und sein Arbeitsgebiet selber definiert. Der Vorgesetzte wird abgelöst durch freiwillige Selbstkontrolle, Lern- und Denkimpulse der Verantwortungsträger und Koordinatoren, sowie eine Kontroll-Kommunikation zu allen, die im Ablauf vor- und nachgeschaltet sind.
Zukunftsmusik? Für die einen tönen solche Vorstellungen sehr harmonisch, andere empfinden sie als schmerzende Missklänge, denn sie müssten ihren Status mit Privilegien aufgeben. Die Evolution kann aber nicht gestoppt werden. Es werden immer mehr Start-up‘s von kollegial tätigen Gruppen aufgebaut, in denen Verantwortungsaufteilung besteht und die sich selber koordinieren können, ohne einen Befehlsgeber über sich zu haben.
Eine natürliche „Hierarchie“ kann auch nicht befohlen werden. Deshalb Hände weg, von Guru’s, die heute schon Unternehmen für eine „Enthauptung“ begeistern wollen. Der Mensch ist nicht fähig, aus dem Denkschema von oben und unten herauszukommen und freiheitlich alles auf gleicher Ebene und kollegial zu betrachten. Es braucht noch eine lange Entwicklung des Individuums, bis es von einem passiven zu einem eigenständig aktiven Wesen wird, das seine Aktivität in eine Gemeinschaft einbringen kann. Noch sind fast alle Menschen darauf programmiert, in einer Gruppe ihren Platz in der Vertikalen zu suchen. Zudem suchen fast alle Menschen in einer Gruppe nach dem eigenen Vorteil, statt einzusehen, dass sie den Vorteil der gesamten Gruppe anstreben müssen, um sich verbessern zu können.
Übrigens: In einem Bienenvolk gibt es keine Hierarchie, obwohl wir Menschen die gebärende Biene als Königin bezeichnen.       jb