Menschlich oder sachlich

Ein Kandidat beklagt sich: «Ein Unternehmen hat mir folgende Nachricht geschrieben: Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Wenn Sie nichts mehr von uns hören, hat sie nicht gepasst». Ein anderer Kandidat meldet folgenden Text: «Ihre Bewerbung stimmt nur zu 80% mit unserem Anforderungsprofil überein, sollten wir nicht genügen Kandidaten über 80% haben, werden wir Ihnen eine Nachricht zukommen lassen». Ein anderer Kandidat beklagt sich, dass auf seine Bewerbung per Mail nach 2 Minuten schon eine Absage gekommen sei.

 

Sind das Resultate schon automatisierter Kandidatenauswahl durch Matching-Tools oder Robot Recruiting? Müssen denn Automatismen im Recruiting mit unmenschlicher Kommunikation verbunden sein? Ist Fortschritt durch Automation nur mit Sachlichkeit verbunden, in der die Achtung vor Menschen keinen Platz mehr hat? Solchen Auswüchsen muss Einhalt geboten werden, denn Kandidaten sind heute und zukünftig das Potential für Firmenerfolg. Vielleicht noch das grössere Potential als gute Kunden. Aber mit Kunden würden Unternehmen niemals derart kommunizieren. Jeder Mensch im Branchenpersonalmarkt ist ein zukünftiger Mitarbeiter. Wird mit ihm brüskierend oder beleidigend kommuniziert, wird er sich nie mehr bewerben oder auf Anfragen dieses Unternehmens immer
negativ antworten.

Verständlich ist, dass Unternehmen, die Robot Recruiting einsetzen, ihre Prozesse effizient einsetzen wollen. Doch die IT-Leute und HR-Mitarbeiter, welche die Kommunikationstexte definieren, sollten berücksichtigen, dass die Empfänger Menschen sind, Menschen, die vielleicht viel zu bieten haben. Ein Unternehmen hat sogar eine Hotline für Kandidaten eingerichtet, über die sie den Stand ihrer Bewerbung erfahren können. Eine gutgemeinte Idee, doch her-ausgekommen ist eine abschreckende Institution, die so manchen wertvollen Kandidaten vergällt. Ähnlich wie bei Telekommunikationsfirmen hat der Kandidat eine Nummer erhalten, die er nach telefonischer Kontaktaufnahme eintippen muss. Dann

wird ihm per Computersprache gesagt, dass seine Kandidatur in Bearbeitung sei. Da alle Personen momentan am Telefon beschäftigt seien, wird er in die Warte-schleife eingeschleust. Dort hört er Musik und alle 60 Sekunden die Ansage, dass immer noch alle am Telefon besetzt seien. Wenn er dann nach 20 Minuten entnervt das Gespräch beendet, ist auch seine positive Motivation für die Firma am Ende.

 

Die Wissenschaft des Marketings will, dass das Angebot eines Unternehmens an den Markt einem Bedürfnis entspricht und deshalb gekauft wird. Wenn wir von Personalmarketing sprechen, sollte das Angebot (die vakante Position) einem Bedürfnis entsprechen und entsprechend liebevoll, verständnisvoll und motivierend den Menschen überbracht werden, damit sie das Angebot annehmen. In Zeiten einer Arbeitslosigkeit von 3 und weniger Prozenten darf nicht die eigene Rationalität die Hauptrolle spielen. Der Rekrutierungsablauf muss darauf ausgerichtet sein, allen Bewerbungen eine Brücke ins Unternehmen zu bauen. Den Rekrutierungsablauf mit Schwierigkeiten, Hindernissen und schroffer Kommunikation für die Bewerber zu pflastern ist kontra-produktiv. Man gewinnt dadurch keine Menschen, die sich leidenschaftlich und emotional für ein Unternehmen einsetzen. Man erreicht nur solche, denen es eigentlich egal ist, was sie tun, die den Weg des geringsten Widerstandes gehen und nach Vorschrift arbeiten. Wichtig ist nur das Geld am Ende des Monats.

Die Rekrutierung von Menschen braucht Menschen! Menschen mit Empathie, mit Einfühlungsvermögen und der Fähigkeit der Motivation. Nur damit lassen sich Spitzen-kräfte gewinnen. Entscheider in den Unter-nehmen müssen sich fragen, wie sie selber über Werbung oder direkt angesprochen werden möchten. Ob sie einen sachlich wohl richtigen, nüchternen und despektierlichen Automaten wünschen, oder einen Menschen, mit dem sie gerne warm wer-den. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. jb